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Wo es keine Freiheit gibt

  • christinewalch
  • 30. März 2019
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 29. Aug. 2019

Bei meinen Recherchen über die Mischehen bzw. Mischfamilien begegneten mir auch Berichte über Probleme, denen die ausgesetzt waren, die sowohl in Aserbaidschan als auch in Armenien wieder Fuß fassen wollten. Nach den Massenkundgebungen in Jerewan und Stepanakert 1988 - Armenien forderte den Anschluss Berg-Karabachs - kam es in Baku zu armenier-feindlichen Kundgebungen, die Ende November 1988 bis zu 800.000 Aserbaidschaner auf die Straße riefen. Es wurde zur Ermordung sämtlicher Armenier aufgerufen. Dadurch kam es zu Gewalttätigkeiten an ethnischen Armeniern und in der Folge dazu, dass die Mehrheit der armenischen Bevölkerung Aserbaidschan in Richtung Armenien und Russland verließ. Die Übergriffe gegen ethnische Armenier wurden von aserbaidschanischer Seite toleriert und teilweise auch unterstützt. Als aufgehetzter Pöbel durch die Straßen zog, sahen Sicherheitskräfte tatenlos zu und waren zum Teil sogar an Ausschreitungen und Morden beteiligt. Menschen, die "armenisch" aussahen, wurden auf offener Straße angegriffen. Es ist interessant, dass die Situation der Mischfamilien und der Nachkommen aus binationalen Ehen vor der Unabhängigkeitszeit als "sehr gut" bezeichnet werden konnte, doch aufgrund des Berg-Karabach-Konflikts verschlechterte sich die Lage drastisch. Es kam dazu, dass Familien auseinandergerissen wurden. Daran wirkten beide Länder - Aserbaidschan und Armenien - mit. Aserbaidschan bot Armeniern damals keinen Schutz. Man kann nicht von systematischer Diskriminierung sprechen, doch wurden Personen armenischer Abstammung tatsächlich viel schlechter behandelt als andere Personengruppen. So waren Armenier Schikanen, Diskriminierungen und Benachteiligungen ausgesetzt. Die Rente wurde nicht ausbezahlt, es wurden keine Dokumente wie Pässe oder Urkunden ausgestellt, sie konnten keine Tätigkeit im öffentlichen Dienst erhalten, es konnte zu Problemen kommen, wenn armenischstämmige Eltern ihre Kinder zum Schulbesuch anmelden wollten. Die armenische Volksgruppe musste mit einem Klima der Angst und des Schreckens zurechtkommen und war weitgehend recht- und schutzlos. Wenn ein Armenier an seiner Identität festhalten wollte und nach wie vor seinen armenischen Namen trug, kam es in der Folge zu wirtschaftlichen Benachteiligungen.

Sämtliche Armenier, die nach Vertreibung und Abwanderung in Aserbaidschan übrig geblieben waren, gaben ihre wahre Identität nicht preis, gleichgültig, ob sie aus einer gemischt-ethnischen Ehe stammten oder nicht. Sie gingen dazu über, ihre armenischen Namen zu ändern, um in der Öffentlichkeit nicht als Armenier identifiziert zu werden. Die Zahl der Armenier in Aserbaidschan schätzt man auf 10.000 bis 30.000. Armenisch-aserische oder aserisch-armenische Mischfamilien - ob sie nun in Armenien oder Aserbaidschan leben - wurden wegen des Berg-Karabach-Konflikts als Feinde behandelt. Und genau dasselbe vollzog sich bei den ethnisch-gemischten Ehepaaren mit aserbaidschanischer Herkunft, die still und leise nach Armenien kamen. Um nicht als aserbaidschanische Mitbürger erkannt zu werden, zogen auch sie es vor, ihre Namen zu ändern und ihre Herkunft zu verschleiern.

Wie fühlen sich solche Lebensbedingungen an? Der PACE-Berichterstatter Andreas Gross drückte es so aus: " Ich habe Menschen gesehen, welche absolut verängstigt gewesen sind. Sie haben die Hoffnung verloren und spüren den Druck, sie haben keine Möglichkeit, das zu sagen, was sie denken, schon gar nicht davon zu reden, dass sie andere überzeugen können, dass sie im Recht sind. Es ist unerträglich, Oppositioneller in der Provinz zu sein. Die Polizei verfolgt diese Menschen, wo auch immer möglich. Es gibt absolut keine Freiheit für diese Menschen, welche nicht die Ansichten der Partei Yeni Aserbaidschan teilen ... Sie können sich nicht vorstellen, was es heißt, Oppositioneller in Aserbaidschan zu sein! Demokratie ist das Recht, eine andere Meinung als die Autorität zu haben. Wenn man in Aserbaidschan eine andere Meinung hat, wird einem Arbeit entzogen und man kommt ins Gefängnis. Es reicht, ein Flugblatt zu verteilen, es reicht, ein Kandidat zu sein, es reicht, die Schwester eines Kandidaten zu sein, um ins Gefängnis zu kommen....." (Quelle: Gross, Andreas: Auch oligarchisch totalitäre Tendenzen müssen bekämpft werden; Rede vor dem Europarat im Januar 2006)


 
 
 

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