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Die Balkankonflikte

  • christinewalch
  • 16. Dez. 2018
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 29. Aug. 2019

Die Jugoslawienkriege - auch Balkankonflikte genannt - sollten in den darauffolgenden zehn Jahren immer wieder für Schlagzeilen sorgen. Es handelte sich um eine Serie von Kriegen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens. Es ging um den 10-Tage-Krieg in Slowenien 1991, den Kroatienkrieg 1991 bis 1995, den Bosnienkrieg 1992 bis 1995, den kroatisch-bosniakischen Krieg im Rahmen des bosnischen Krieges, den Kosovo-Krieg 1999 und den albanischen Aufstand in Mazedonien 2001. Ich kann nicht auf die Einzelheiten all dieser Geschehnisse eingehen, das würde den Rahmen sprengen. Doch die Grundzüge der Entwicklungen nachzuzeichnen vermittelt ein besseres Verständnis, und dieses Verständnis herzustellen will ich versuchen. Über Jahrzehnte hatten die verschiedenen Volksgruppen in Jugoslawien friedlich zusammen gelebt. Der Zusammenbruch des Sozialismus Ende der 1980-er Jahre sorgte für Veränderungen. Der Nationalismus verstärkte sich, und Nachbarn, die ihr Leben miteinander geteilt hatten, wurden plötzlich zu Feinden. Aufgrund von kriegerischen Auseinandersetzungen zerfiel der Vielvölkerstaat in seine Einzelteile, die Konflikte weiteten sich aus. Die Unabhängigkeitsbestrebungen der Teilrepubliken sind der Regierung in Belgrad ein Dorn im Auge. Am Ende des Kalten Krieges werden sowohl die Teilrepubliken Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro, Mazedonien und Bosnien Herzegowina als auch der Kosovo und die Vojvodina von nationalistischen Tendenzen erfasst. Besondere Vorbehalte bestehen gegenüber der etwaigen oder der real existierenden serbischen Dominanz, die von den anderen Volksgruppen argwöhnisch wahrgenommen wird. Im Jahr 1990 finden erste freie Wahlen in Slowenien und in Kroatien statt. Als die Verhandlungen über größere Freiheiten mit der Regierung scheitern, erklärt Slowenien am 25. Juni 1991 seine Unabhängigkeit. Die jugoslawische Volksarmee erhält den Befehl, in Slowenien einzumarschieren. Da viele kroatische und bosnische Armeeangehörige mit der Unabhängigkeitsbewegung symphatisieren und sich ergeben, enden die Gefechte nach nur zehn Tagen. Ein Kompromiss wird geschlossen: Slowenien und Kroatien verpflichten sich, drei Monate auf Unabhängigkeitsbestrebungen zu verzichten. Die jugoslawische Armee zieht sich zurück. In Kroatien und Bosnien-Herzegowina sieht die Lage anders aus. Die serbischen Einwohner sind in Kroatien mit zwölf Prozent vertreten, in Bosnien-Herzegowina sogar mit 32 Prozent. Nach der Verabschiedung der neuen kroatischen Verfassung sehen sich die Serben damit konfrontiert, ihren Status als zweites Staatsvolk zu verlieren, und drohen damit, einen autonomen Staat zu gründen. Nun sagen sich Kroatien und Bosnien-Herzegowina 1991 endgültig von Jugoslawien los. Der Konflikt eskaliert. Verbände der jugoslawischen Volksarmee und serbische Freischärler besetzen ein Drittel Kroatiens. Dabei sterben 10.000 Menschen, Hunderttausende flüchten oder werden verjagt. Kroatien erobert große Teile des Landes zurück, der Krieg verzieht sich zunehmend ins benachbarte Bosnien-Herzegowina. Die serbischen Einwohner stoßen auf kroatischen und bosnischen Widerstand, als sie die von ihnen bevölkerten Gebiete an Rest-Jugoslawien anschließen wollen. "Ethnische Säuberungen" auf allen Seiten sind die fürchterliche Folge. In eroberten Gegenden werden Menschen ermordet oder vertrieben, feindliche Soldaten, aber auch Zivilisten landen in Lagern. In diesen Zeitabschnitt fällt auch der Beginn der Belagerung Sarajewos über mehrere Jahre hinweg, die zum Tod Tausender Menschen führt.

Nun greift die internationale Staatengemeinschaft ein. Im Juni 1992 trifft eine Schutztruppe der Vereinten Nationen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina ein. Ihre Aufgabe besteht darin, in serbisch kontrollierten Gebieten die Waffenruhe aufrecht zu erhalten und in speziell eingerichteten Schutzzonen die Zivilbevölkerung zu schützen und mit Lebensnotwendigem zu versorgen. Der Krieg ist damit allerdings nicht beendet. Es wird weitergekämpft. Die kroatische Armee beginnt 1995 mit einer Großoffensive. Serbische Gebiete in Kroatien werden zurückerobert, das westliche Bosnien wird eingenommen. Nun fliehen Hunderttausende Serben vor den heranrückenden Verbänden. Im Windschatten des Sieges werden Racheakte an feindlichen Truppen verübt und Grausamkeiten begangen. In der Gegend von Srebrenica kommt es zu einem Massaker an mehr als 8000 Bosniaken zwischen 13 und 78 Jahren. Unter der Führung von Ratko Mladić von der Armee der Republika Srpska, der Polizei und serbischen Paramilitärs wird das Massaker über eine Dauer von einigen Tagen verübt. Die niederländischen Blauhelmsoldaten schreiten nicht entschieden ein - bis heute ist die Rolle des führenden Blauhelm-Kommandanten darum umstritten. Das Massaker wird als Genozid klassifiziert. Die NATO führt massive Luftangriffe gegen serbische Stellungen durch. Das bringt die serbische Führung dazu, Friedensverhandlungen aufzunehmen. Das Abkommen von Dayton stellt im Dezember 1995 offiziell das Ende des Krieges fest. Darauf folgen Prozesse im Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Angeklagt werden der frühere jugoslawische Präsident Slobodan Milošević, Radovan Karadžić, der Anführer der bosnischen Serben, der kroatische General Ante Gotovina sowie der bosnische Kommandant Rasim Delić. Der Kosovo bildet allerdings bereits das nächste Pulverfass. Die serbische Provinz, in der mehr als 80 Prozent Albaner leben, ruft ebenfalls nach Unabhängigkeit. Anfänglich wird gewaltfrei protestiert. Doch immer mehr Kosovaren radikalisieren sich ab Mitte der 90-er Jahre. Als die "Befreiungsarmee für Kosovo" (UÇK) 1998 ein Drittel des Landes unter ihre Kontrolle bringt, marschiert die serbische Armee ein. Die einberufene Kosovo-Konferenz von Rambouillet scheitert und führt dazu, dass im März 1999 von der NATO Luftangriffe gegen serbische Militäreinrichtungen geflogen werden. Und wieder dieselbe Folge: Hunderttausende Albaner werden von der serbischen Armee vertrieben. Immer wieder werden Zivilisten Opfer aufgrund andauernder Bombardierungen. Anfang Juni 1999 nimmt Serbien den Friedensplan an. Die Truppen ziehen aus dem Kosovo ab, der unter UN-Verwaltung gestellt wird.

Als einzige Teilrepublik kann sich 1991 Mazedonien friedlich von Jugoslawien lösen. Albanische Freischärler, die mit der UÇK symphatisieren, setzen sich dafür ein, dass die albanische Minderheit mehr Rechte erhält. NATO und EU helfen, den Konflikt im Sommer 2001 zu lösen. Mazedonien sichert der Minderheit der Albaner mehr kulturelle und politische Freiheiten zu. Am 3. Juni 2006 kann sich Montenegro friedlich von Serbien lösen und wird eine souveräne Republik. Im Jahr 2008 erklärt der Kosovo seine Unabhängigkeit, wobei der völkerrechtliche Status des Landes umstritten bleibt. Der Kosovo wird nicht von allen UN-Staaten anerkannt. Sechs Fakten werden genannt, die man über den Bosnienkrieg wissen sollte: 1. Es war der grausamste Krieg in Europa nach dem 2. Weltkrieg mit über 100.000 Toten und über zwei Millionen Vertriebenen. 2. Mehr als 700.000 flüchteten ins Ausland, die Hälfte von ihnen nach Deutschland. Die allermeisten sind wieder heimgekehrt.

3. Der einzige Völkermord in Europa nach 1945: Im Juli 1995 ermorden serbische Verbände in der ostbosnischen Stadt Srebrenica bis zu 8000 muslimische Jungen und Männer. 4. Nur wenige Schuldige wurden vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verurteilt. Die allermeisten Täter leben weiter unbehelligt auf freiem Fuß. 5. Der in der US-Luftwaffenbasis Dayton geschlossene Friedensvertrag schafft einen lebensunfähigen Staat mit zwei fast selbständigen Landesteilen (Entitäten), 10 sehr autonomen Kantonen und der von allen verwalteten Stadt Brcko (ein Kondominium, "gemeinsames Eigentum"). 6. Trotz vieler Milliarden Finanzhilfen aus der EU und den USA sowie einem Heer von Diplomaten und Experten lassen Reformen und Modernisierung des kleinen Balkanstaates noch immer auf sich warten.

Quelle: https://www.focus.de/politik/ausland/bosnienkrieg-1992-1995-chronik-einer-europaeischen-katastrophe_id_6837924.html


Unter den furchtbaren Eindrücken der erbitterten Kriege schrieb mein Mann am 11. Januar 1995 einen Leserbrief, der in den "Vorarlberger Nachrichten" veröffentlicht wurde. Darin heißt es: "Wie lange wollen die Welt und die verantwortlichen Politiker noch dem Treiben gottloser, maßloser und ungezügelter Gewalt in Jugoslawien zuschauen? Die täglichen Folterungen und Vergewaltigungen schreien zum Himmel. Wie kann man so großem Unrecht so lange zuschauen? Nur aus Angst, etwa Gewalt anwenden zu müssen, da Gewalt inhuman ist? Sind das Zuschauen und das Verweigern einer sofortigen echten Hilfe für die gefolterten und geschlagenen Menschen denn humaner? Es geht hier tatsächlich um mehr als Öl oder Macht - nämlich darum, bestialischer Grausamkeit ein Ende zu machen. Wo sind die vielen Friedensdemonstranten jetzt? Sofort helfen und militärisch eingreifen und dann verhandeln ist ein Gebot der Stunde - nicht umgekehrt, wenn es für Tausende zu spät ist. Langes Verhandeln entpuppt sich nur zu oft als eine Hinhaltetaktik, um noch möglichst viele üblen Ziele (territoriale Vorteile, ethnische Säuberungen etc.) zu erreichen. Geographische Grenzen sind keine moralischen Grenzen. Unser Nächster in Jugoslawien (vor allem die vielen in den Gefangenenlagern) braucht dringend unsere Hilfe. Friedensverhandlungen, die immer wieder vertagt werden, und Spenden allein sind sicherlich zu wenig. Wenn wir dem Unglück anderer zu lange zusehen, könnte es eines Tages uns selbst ereilen ... Jürgen Walch, Ludesch."

Knapp ein halbes Jahr später wurde das Massaker von Srebrenica verübt, und Jürgens Befürchtung "wenn es für Tausende zu spät ist" bewahrheitete sich für mehr als 8000 Menschen. Ratko Mladić wurde wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zwischen 1992 und 1995 angeklagt. Auch für die 44-monatige Belagerung Sarajewos ab Mai 1992 musste er sich verantworten, die an die 10.000 Opfer forderte. Allerdings konnte er erst 2011 verhaftet werden - nach 16 Jahren des Flüchtig-Seins und des Sich-Entziehens aus der Verantwortung.

 
 
 

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